II. Kein Freitag ohne Montag
Planungs- und Umsetzungsphase
Ende der 70er Jahre trugen wir eine Tonanlage in die Wittenhorst, fernab, wo Ruhe gerne mal gestört werden will und das Feuer hell brennen darf. Unser altes Hauszelt wurde hier zum letzten Mal aufgebaut, wir hatten einen sagenhaften Spaß, ein Auftakt nach Maß. In diesem Wochenende steckte eine kleine ländliche Erscheinung, keine weinende Maria, sondern ein euphorischer Hans. Mädchen und Jungs, laut und leise und keiner sagte Feierabend. Haben wir in Raum 3 unser musikalisches Profil geschärft, wurde bei Werdelmann die Tanzbarkeit getestet.
Die ersten Meter wurden gerudert, die Mitte des Sees war noch lange nicht die Hälfte bis Amerika, es war unheimlich weit weg vom Bekannten, alle im Boot hatten was miteinander zu tun, im Kreis zu fahren, hieß unterwegs zu sein.
Die Ausflüge nahmen Fahrt auf, unser Anspruch ließ Platz für das Risiko, das Boot wurde größer und wer nähen konnten, fing an die Segel her zu richten, ohne das Rudern zu verlernen.
Wir hatten soviel mit uns selber zu tun, das Bootfahren machte uns Freude und auch dass jeder mal rudern durfte und man diesen Fluß entdeckte, dass es weiter in die Welt ging, immer so schnell, dass man noch selber nähen wollte. Wir haben geträumt und gemacht, sind gescheitert und haben das Mögliche bezahlt, waren nie schneller als jeder Einzelne und wenn am Ende darüber geredet wurde, kamen alle drin vor.
Irgendwann gab es den Punkt, der
um Struktur bat, kleine Ziele formulierte und im Frühjahr Brennholz schlagen ließ.
Bei allen Ideen galt es den roten musikalischen Faden nicht zu verlieren, niemanden zurück zu lassen und die Belastbarkeiten mit den Möglichkeiten zu synchronisieren, Fähigkeiten zu sortieren, Zuständigkeiten zu platzieren und einen Plan zu fassen. Mentalität und Motivation waren eine relevante Größe, um sich in seiner Arbeit zu ergänzen.
„Mehrsamkeit“
Am Anfang waren wir 14 + 2, wobei die 2 für unsere beiden Messdienergruppenleiter stand, die uns tun ließen und eine schützende Hand über das Getane hielten. Das, was passieren sollte, überließ man uns ganz allein. Der alte Reitplatz, fern des Dorfes, mit Strom, Wasser und einem Dreikammersystem hatte alles, was nötig war und von uns kam die Musik, die Plakate, die Getränke, Würstchen und die Inszenierung.
Nach den ersten drei Jahren war die Basis an Gästen gefunden, die selbstgebastelte Sause wusste zu gefallen.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, braucht es Livemusik. Das kostet Idealismus, Leidenschaft, Kraft und Geld. Der Spaß unterwanderte das anfängliche Scheitern, der Weg war das Ziel und unser Fokus auf die Musik machte unsere Unterfangen dringlich. In unserem ersten Jahr als Festivalveranstalter sammelten wir von allen Protagonisten, die dabei sein wollten, 500,- DM, Sie erkauften sich die Pflicht auf- und abzubauen und die Kür eines gemeinsamen Pop Spektakels. Das triste Landleben erfuhr einen alljährlichen Spannungsbogen, vom ersten Plakat bis zum Lagerfeuer danach. Wir hatten unsere eigene Kathedrale, erbaut aus der Langeweile unserer Zeit, mit dem Mörtel unserer Visionen. Das aufregende der weiten Welt kam näher, denn wir wurden bunter.
Die sogenannten „Aktionäre“ fanden sich basisdemokratisch zwei mal im Jahr zusammen, um Grundsätzliches zu besprechen, Verbesserungen zu planen, um das Abenteuer zu befeuern. Jeder von uns musste erstmal ein Gefühl dafür bekommen, wie sein Beitrag aussehen konnte, was wo und wie gebraucht wurde, wie sich das alles am Ende zusammenfügt, ohne persönlich verloren zu gehen. Heute wissen wir, dass ein gutes Festival wie ein guter Wein zu verstehen ist, jedes Jahr anders und man spürt das vorangegangen Jahr mit seinem Wetter, Stimmungen und Einflüssen.
„Be true, not better.“
Die einzige Konstante war unsere kompromisslose musikalische Reise, eine eigenwillige Erzählung, die sich auf den Weg machte, ein unverwechselbares Profil des Haldern Pop Festivals zu entwickeln. Die Kunst war nicht verhandelbar, dieser Traum war unsere Reliquie. Verhandelbar war sie nur dann, wenn sich unsere Vorstellung der Gagen nicht mit denen der Agenten deckte. Unsere anfängliche Naivität verwandelte sich zügig in eine Strategie, es brauchte Menschen in unserem Team, die in Zahlen und welche, die in Bildern denken. Sie müssen sich umeinander kümmern, in ihrer respektablen Beziehung steckt das Geheimnis eines innovativen Unternehmens. Beidseitiges Vertrauen legt den Grundstein für Erfolg, der nicht immer viel Geld und ganz oben
bedeuten muss.
Das mit der Musik nahmen wir ernst, mit Raum 3 hatten wir einen Ort, einen Ausgangspunkt und von diesem schwärmten wir mit Plakaten und Flyern aus, um einzuladen, teilzunehmen, dabei zu sein und bestenfalls unsere Vorstellung von Musik voranzutreiben. Auf das selber gemacht und gerne auch mal knapp daneben, legen wir großen Wert. Aus heutiger Sicht wirkt unser Konzept anachronistisch, man hat immer das Gefühl, dass wir uns von der allgemeinen Erwartung emanzipierten, was unserer Eigenart entgegen kam. Wo wir sind, muss nicht vorne sein, wenn hinten die interessanteren Geschichten erzählt werden.
„Respekt vor der Freizeit“
Ein Dorf kann eine Wissenschaft sein, die Gesetzmäßigkeiten stehen nirgends geschrieben, Empathie und Aufmerksamkeit navigieren dich durch dieses Biotop aus Traditionen, Familiendynastien, Fleiß und Zuverlässigkeiten. Um in diesem Dickicht aus Neugierde, Vertrautheiten und zwitschernden Beliebigkeiten einen guten Weg zu finden, bedarf es Fingerspitzengefühl. Die Taktung des Vorgehens ist selten der Effizienz geschuldet, Umwege können zielführend und unterhaltsam sein. Vieles hat seinen Platz, versuche dich mit deinen Ideen horizontal einzuordnen, vertikales Positionieren riecht nach Wettkampf.
Es gab mal eine lange Diskussion, ob es nicht sinnvoll wäre, bereits zum Schützenfest im Juli das Dorf mit sämtlichen Bannern des Festivals zu verhängen, um die Aufmerksamkeit der Gäste zu bekommen. In einer streitbaren Diskussionsrunde kamen wir gemeinsam zu dem Ergebnis, dass der Umgang mit der dörflichen Aufmerksamkeit sorgsam zu gestalten ist. Wenn das Schützenfest stattfindet, sollte nicht das Festival im Vordergrund stehen. Alles hat seinen Platz, von den Heiligen 3 Königen bis zum 3. Weihnachtstag, da spricht man nicht drüber aber legt großen Wert auf diese horizontale Hierarchie des Jahres. Es gibt eigentlich keine Institution in Haldern, die bei uns nicht Platz im Boot findet. Der Organismus Dorf tritt sichtbar zu Tage, wenn Interessen sich lebendig verdichten, sich Sinnstiftendes mit Zuverlässigkeit ans Werk machen und generationsübergreifend die Spannung gehalten werden kann. Man darf von einer vitalen Konsistenz sprechen.
Mich hat das Dorf mit seinen Tugenden und Lastern stets fasziniert. Den Ball abspielen, auch mal verteidigen und bei der Feuerwehr und den Schützen, schießen die anderen die Tore, das trägt eine Balance in sich, die viele Ideen und Interessen ausgleichend tragfähig gestalten kann. Ehrenamt ist hier eine wichtige Ressource, die im stetigen Dialog des eigentlichen Grundes erklärbar sein muss. Seit vielen Jahren denke ich mir zur Weihnacht auch noch Spiele und andere Feste für das Dorf aus, ihr Schwerpunkt liegt dann nicht in der Musik. Abwechselnd werden Dinge und Charaktere beleuchtet und spielerisch in Szene gesetzt, eine Art Refrain zum gemeinsamen Jahr im Dorf. Die Erkenntnis, dass in einem Dorf alles mit jedem zu tun hat und sich all diese Kräfte aus vielen ehrenamtlichen Händen speist, bedeutet nichts anderes, als dass es niemandem egal ist, wie es morgen weiter geht. Kleine Kraftwerke der Vorfreude schupsen uns durchs Jahr und immer sprudelt ein anderer Verein und begeistert uns mit seiner Eigenart.
Eine stabile Schnittmenge erlaubt Streit, Diskussion und erhöht somit den Wirkungsgrad einer Gemeinschaft. Das Dorf Haldern ist die Voraussetzung, die wir uns teilen und es ist egal ob wir hier leben, gelebt haben, Freunde hier wohnen oder einmal im Jahr die Gastfreundschaft liebend gerne in Anspruch nehmen. Dieser Ort hat Raum für Diversität, die Kraft der Musik und die Geschichten der Anderen. Ein guter Ort.
„Es schließt sich der Kreis, wenn die Richtung stimmt.“
Stefan Reichmann