III. Das bist du, zwischen dem Spaten und den Bratkartoffeln, mach was daraus.
Bevor sich das eigene Interesse verfestigt, eine Perspektive an Kontur gewinnt, waren viele Bonbons lecker, Seen erfrischend und die inneren Dämonen mit Schwert, Pfeil und Bogen besiegt. Das Naheliegende der Kindheit und Jugend lag armlang im Ort verteilt und um der Welt mit Spannung zu begegnen, muss manchmal auch tiefer gegraben und weitergedacht werden.
Was befindet sich außerhalb meiner Aufmerksamkeit, wie vielseitig sind die Menschen und Gelegenheiten, was könnte sich mit unserem Wirken ergänzen, wo können wir helfen. Malefiz ist ein Spiel, man lernt seine Truppe zusammen zu halten, um die Hürden effektiv zu meistern. Das Kollektiv sprengt, wo das Individuum verzweifelt. Beide füreinander zu begeistern, ist eine Kunst.
Wir reden gerne von den Gebliebenen und den Gegangenen, sie teilten sich diese Welt als man klein war, mit dem Größerwerden änderten sich die Berufswünsche, ihr Dorf wird es bleiben. Es führt immer wieder zu dem Missverständnis, die Dinge persönlich zu nehmen, die Gründe sind allerdings ganz pragmatischer Natur, Dirigenten werden in Haldern nicht ausgebildet, sie aber immer herzlich willkommen zu heißen, haben wir geschafft. Es ist die wichtigste Aufgabe eines divers befähigten Teams, die gegenseitigen Abhängigkeiten zu erklären und zu schätzen, den Ball laufen zu lassen. Es ist eines der Geheimnisse unserer fast vierzig jährigen ARBEIT, dass die Fähigkeiten sehr umfangreich sein müssen, um dieses Festival zu dem zu machen, was es heute ist. Wer im richtigen Moment einen guten Witz erzählt, kann ähnlich hilfreich sein, wie ein versierter Elektriker. Lattentreffer können entscheidende Impulse setzen, und mit Humor zu verteidigen ist der Kitt großer Ideen. Perspektivwechsel, ein schnelles Umschaltspiel sorgt für Überraschung und Verwirrung zugleich, die Lampe brennt und Stammi hat damit zu tun.
Netzwerke bilden sich aus gebündelten Interessen und unterhaltsamen Eigenschaften. Um sich im großen Ganzen wieder zu finden, braucht es ein vertrautes Milieu, einen Ort wo man sein kann, ohne es zu müssen. Das eine hat mit dem anderen zu tun und wo man letztendlich zur Beichte, zur Arbeit oder zum Einwohnermeldeamt geht, soll jedem selber überlassen bleiben. Unsere Bezugspunkte sind unterschiedlichster Natur, orientieren sich gerne an seiner selbst, um den Bogen zu Anderem zu spannen. Das Verhältnis und Verständnis der Gegangenen und Gebliebenen, wird als ewiges Kraftfeld und Brennpunkt eine zentrale Rolle in unserem Festival sein und bleiben. Ihr gegenseitiges Vertrauen ist vielleicht eine der größten Leistungen unserer Arbeit der vergangen 40 Jahre.
Jetzt ist die Zeit eine andere. Eine große Angst beherrscht unseren Alltag, der mit dem, was vor der Pandemie war, nichts mehr gemein hat. Eine, fast schon auf Schienen fixierte, Selbstverständlichkeit ist aus den Angeln gehoben. Das Vertrauen in dieser Krise schwindet, wie der Schnee im Frühling. Kindliche Arglosigkeit scheint wenig angebracht zu sein, um wieder festeren Boden unter unseren Füssen zu spüren.
Es stellt sich zumindest die Frage, was uns wieder hoffen läßt und was wir dafür tun können, um diese handelnde Leichtigkeit wieder zu erlangen. Es sind die gewachsenen Vertrautheiten, die uns machen ließen, die Obacht, der gesunde Menschenverstand und das Fahren auf Sicht. Wir brauchen wieder eine gesunde Mentalität.
Das eigene Zutrauen wiederzuerlangen, um auch wieder allgemeines Vertrauen entwickeln zu können, scheint auch eine Frage der Kultur im Umgang miteinander zu sein.
Unseren Kindern drücken wir Mandalas in die Hand, auf einem weissen Blatt Papier läuft unsere Erwartung Gefahr, enttäuscht zu werden, ein bisschen bunt für alle nennt man ergebnisorientiert und gerecht. In Hessen will man den Hauptschulen den Kunstunterricht streichen, diese Form von kultureller Ignoranz offenbart die Kapitulation durch ein durch und durch rationales Verständnis von der menschlichen Existenz. Unser emotionaler Umfang wird durch Kontrolle beschnitten, eine vertretbare Praxis aus der Medizin, bei unseren Kindern nenne ich das Vertrauensverlust.
Die industriellen Optimierungsprozesse der Vergangenheit haben nicht selten den Menschen ihren identitätsbildenden Handlungsraum genommen, Entscheidungen zu treffen, weil Fehler keine Option in diesem Geschäft waren. Das Leben grundsätzlich als Geschäft zu verstehen, ist der Ursprung eines Missverständnisses und ein Grund einer sich bahnbrechenden extremistischen Tendenz und Taubheit. Vielleicht ist es die wertvollste Erkenntnis dieser Zeit, dass uns die Kunst des Lebens nie aufhört Fragen zu stellen und die Kultur das Vertrauen entwickelt, um uns die Angst zu nehmen, zu antworten und in lebendiger Resonanz zur Welt zu stehen
Stefan Reichmann