‚Ist es dir nicht groß genug, dann geh näher heran.‘
Über die Bad Bonn ‚Kilbi‘
- Dieser Satz des Vorwortes erklärt mit spitzbübischer Leichtigkeit, die Essenz dieses Festivals in den kartoffeligen Hügeln westlich von Bern, in Düdingen. Um ganz genau zu sein, in Bad Bonn, einer, in den 60er Jahren zum Teil im Wasser versunkenen Bauernschaft in der Schweiz. Hoch gelegene Häuser entkamen den Fluten, setzen die Geschichten fort, als Tonverein, vertrauen dem Horizont, den Menschen, die Zeit dafür leben, den Club und einmal im Jahr das Festival zu besuchen. Ein Maß der Unterhaltung.
Nichts versteckt sich hier so gekonnt, wie die Melancholie. Kein drittes Interesse weit und breit, zerrupfte Kunst und immer gegen den Strich, bis kein Ideal dem anderen gleicht. Eitelkeit hält zusammen, mischt sich nicht ein, das bringen wir mit. Wo findet man diese Orte, wenn man nicht nach ihnen sucht? Gute Reisen beginnen mit der Vorfreude bereits Tage zuvor, Ziele werden zu Orten, weil sie mögen, was kommt.
Die Kilbi hat sich aus der wüsten Jugend zur Eigenständigkeit emanzipiert, die Balance aus Ereignis und wirtschaftlicher Tragfähigkeit in eine progressive musikalische Zeitmaschine verwandelt, ohne schneller, größer und gieriger zu werden. Sie hat dem werbenden Versprechen den Rücken zu gewandt und mit maßloser Aufregung das Gegenwärtige in Frage gestellt. Der Moment gerät aus den Fugen, zentrifugale Ekstase trennt die Angst vom Mut unserer Zeit, dem fieberhaften Übergang zur Zukunft - die Antworten pflückt sich die Aufmerksamkeit.
Das diesjährige Festival rüttelt und schüttelt sich und dich, nimmt wärmend in den Arm, wenn der Oberschenkel schmerzt, der Irrsinn dich in die Ecke hängt und man sich selber aus den Augen verliert. Dieses Treibhaus persönlicher Wirksamkeit läßt dich zuhören, treiben und ankommen, um wieder mutiger loszugehen. Immer wieder erlebe ich noch niemals Gehörtes, suche nach Türen, Zugang und Mustern, vergesse das Sortieren und fliege mit den anderen, selten mit dem Ganzen, denke nicht an die Landung. Mein Mensch sorgt für dieses jährliche Ritual, es erklärt mir nicht was soll, hier floriert das Ist.
Gehen wir nochmal ganz nah ran, um zu verstehen, wie groß das auf der Kilbi ist. Mit dem Beginn der Dunkelheit wird ein Feuer entzündet, ein brennender Schädel wärmt, wie ein Ofen in der Mitte einer guten Stube. Den ganzen Tag wird gekocht, gestaunt und herzlich gemocht, ob von oder vor der Bühne, kein Wunder, eine Verkettung wuchtiger Momente und zärtlicher Offenheit. Getanzt wird gerne, viel und bis in den frühen Morgen, kaum Kameras zwischen all den Menschen, man vertraut der Erinnerung.
Ein bezaubernder Ort, der das Vertrauen als Währung wieder eingeführt hat, ein großartiges Festival.
Stefan Reichmann
(Foto: Christoph Buckstegen, Bad Bonn Kilbi 2024)